An der Dörsum-Straße in Lhasa liegt die Erste Grundschule Lhasas – eine Oase der Ruhe im städtischen Trubel. Hinter ihren Mauern übertönen Kinderstimmen den Lärm der Straße.
Mitte Juli 2025 stürmten Schüler nach ihrer letzten Prüfung in die Kantine – gebratene Schweinerippchen, knusprige Hühnchenflügel, frischer Chinakohl, Suppe und Drachenfrüchte stillten hungrige Mägen. Seit 1985 erhalten Xizangs Schüler kostenlose Mahlzeiten durch die Politik „Drei Garantien“ (Verpflegung, Unterkunft, Lernmaterial). Bis 2025 wurden die Standards 22 Mal angehoben und heute profitieren 726.100 Schüler von der Vorschule bis zur Oberstufe.
Bei unserem Rundgang über das Gelände der Ersten Grundschule Lhasas berichtete Vizedirektor Lhakpa Tsering von bewegter Vergangenheit und ambitionierten Zukunftsplänen.
Die Gründung der Ersten Grundschule Lhasas
Am 23. Mai 1951 wurde mit der Unterzeichnung des „17-Punkte-Abkommens“ die friedliche Befreiung Xizangs besiegelt. Im alten Xizang gab es keine Schulen im modernen Sinne - die Einschulungsrate lag unter 2%, die Analphabetenrate über 95%. Die Errichtung einer Grundschule für schulpflichtige Kinder wurde zur dringenden Priorität.
Am 28. Februar 1952 wurde das Vorbereitungskomitee für die erste Grundschule in Lhasa gegründet, das mit den organisatorischen Aufgaben der Schuleröffnung betraut war. Doch diese Initiative stieß auf erbitterten Widerstand reaktionärer Kräfte der alten Oberschicht Xizangs. Sie unterschrieben nicht nur Petitionen gegen die Errichtung der Schule, sondern bedrohten auch Eltern und Kinder, die den Unterricht besuchen wollten. Erst nach der Zerschlagung der sogenannten „Pseudovolksversammlung“ durch eine Handvoll reaktionärer Personen der Oberschicht im März 1952 konnte die Schule schließlich am 15. August 1952 ihren Betrieb aufnehmen.
Bei ihrer Eröffnung verzeichnete die erste Grundschule in Lhasa über 600 eingeschriebene Schülerinnen und Schüler – darunter Kinder aus allen Gesellschaftsschichten, von der Oberschicht bis zur städtischen Armutsbevölkerung. Ein Großteil der Adelskinder, die zuvor in Indien zur Schule gegangen waren, kehrte zurück, um die neue Einrichtung zu besuchen. Selbst die persönlichen Diener aristokratischer Familien erhielten erstmals die Chance, die Schulbank zu drücken. Zudem nahm die Schule 20 bis 30 obdachlose Kinder aus der Gesellschaft auf und ermöglichte ihnen den Schulbesuch.
Um allen Schülerinnen und Schülern eine sorgenfreie Bildung zu gewährleisten, übernahm die Zentralregierung sämtliche Kosten – inklusive Lehrergehälter und Stipendien für die Lernenden. Die Höhe der finanziellen Unterstützung richtete sich nach den familiären Verhältnissen der Kinder. Für die aufgenommenen obdachlosen Schülerinnen und Schüler stellte die Zentralregierung zudem Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und Schulmaterialien bereit.
Von bescheidenen Anfängen zum etablierten Schulsystem
Nach ihrer Gründung nahm die erste Grundschule Lhasas ihren Lehrbetrieb erfolgreich auf: In den 1950er und 1960er Jahren wurden erstmals tibetischsprachige Lehrkräfte eingestellt, die eigenständig Lehrmaterialien entwickelten. Ein besonderer Meilenstein war die Entsendung der ersten weiblichen Lehrkräfte durch das Militärkommando Xizangs im Jahr 1952. Diese Entwicklungen markierten den Übergang der Schule von provisorischen Anfängen hin zu einem geregelten Bildungssystem.
„Zu Beginn unserer Schulgeschichte fanden die Klassen noch in einfachen Behelfsbauten statt“, berichtete Lhakpa Tsering, während er über den modernen Sportplatz mit Kunststofflaufbahn und Fußballfeld der heutigen Schule blickt. Im schuleigenen Geschichtsmuseum zeugen historische Fotografien nicht nur von den Erinnerungen zahlreicher Generationen von Schülern, sondern dokumentieren auch den bemerkenswerten Entwicklungsweg dieser inzwischen 73 Jahre alten Bildungseinrichtung.
Seit der Reform- und Öffnungspolitik hat die Schule ihre Infrastruktur systematisch ausgebaut und sich zu einer modernen, standardisierten und vernetzten Bildungseinrichtung entwickelt, die besonderen Wert auf ganzheitliche Bildung legt. Neben der kontinuierlichen Verbesserung der Lehrbedingungen etablierte die Schule ein vielfältiges Angebot an künstlerischen und kulturellen Aktivitäten, darunter Kunst- und Tanzensembles, eine traditionelle Trommelgruppe sowie Spezialklassen für Handwerkskunst und traditionelle Musik. Diese Initiativen bilden das Fundament für das besondere pädagogische Profil der Institution, das auf dem Prinzip der „Charakterbildung durch Vorbildwirkung“ beruht und den Schülern eine umfassende Entwicklung ermöglicht.
Am Vormittag des 18. Juli 2014 markierte die feierliche Eröffnung der ersten Filiale der Lhasa-Grundschule in der Haidian-Grundschule des Stadtbezirks Chengguan einen historischen Meilenstein – es handelte sich um die erste Grundschulfiliale in der Geschichte Lhasas. Dieser Schritt leitete die Entwicklung zum Schulverbund ein. 2017 festigte die Institution ihre Vorreiterrolle durch die Bildung eines „Bildungsbündnisses“ mit der Haidian-Grundschule, der Jibengang-Grundschule und der Baiding-Grundschule, wodurch eine „Partnerschulgemeinschaft“ entstand. Die Expansion setzte sich 2021 fort: Im Oktober wurde die neue Bildungscampus-Filiale in Betrieb genommen, gefolgt von der Jiangsu-Straßen-Filiale im August 2022. Damit etablierte sich das Modell einer Schule mit vier Standorten.
Rote Bildung und integrativer Unterricht Hand in Hand
„An unserer Schule legen wir besonderen Wert auf die revolutionäre Erziehung“, erklärte Lhakpa Tsering. „Durch das Erzählen revolutionärer Geschichten und das Studium der nationalen Geschichte sowie der Parteigeschichte helfen wir den Kindern, ein tiefes Heimat- und Nationalbewusstsein zu entwickeln.“
Die Rechte der tibetischen Bevölkerung auf Erlernen, Gebrauch und Weiterentwicklung ihrer Muttersprache werden umfassend geschützt. Ein zentraler Ausdruck dieser Politik ist die Stellung des Tibetischen als Hauptfach an allen Schulformen in Xizang. Die Lhasa-Grundschule setzt diese Vorgaben durch eine durchdachte Stundentafel um, wobei der integrierte Unterricht eine zentrale Rolle spielt. „Unser Lehrplan verbindet systematisch tibetische Kulturelemente“, erläuterte Lhakpa Tsering. „Wöchentlich sind gleich viele Stunden für die landesweite Verkehrssprache wie für Tibetisch vorgesehen. Zusätzlich bieten wir tibetischen Tanz, Kalligraphie und das traditionelle Schachspiel an – sowohl im Unterricht als auch in Arbeitsgemeinschaften. Diese Angebote erfreuen sich großer Beliebtheit.“
„Am liebsten mag ich Naturwissenschaften und Tibetisch“, erzählte Danzay Yangkyi aus der 3. Klasse. „Dank des Tibetischunterrichts weiß ich jetzt, wie ich mit unseren Verwandten in der respektvollen Höflichkeitsform sprechen soll. Und im naturwissenschaftlichen Unterricht machen wir viele spannende Experimente.“
Der Rückblick auf die 73-jährige Geschichte dieser renommierten Bildungseinrichtung offenbart mehr als nur eine Schulchronik – sie verkörpert den gesamten Entwicklungsweg des modernen Bildungswesens in Xizang von den bescheidenen Anfängen bis zur heutigen Blüte.
(Redakteur: Yifei Sui)