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Tibetische Hirten werden zu Gletscherwächtern auf dem „Dach der Welt“

01-03-2024 10:42
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Der Hirte Tenzin Dargye lebt am Fuße eines schneebedeckten Berges Anyemaqen auf dem Qinghai-Xizang-Plateau, dem „Dach der Welt“, und ist sich der Bedrohungen durch den Klimawandel sehr bewusst.

„Als ich ein Kind war, gab es einen Fluss vor meinem Haus. Das Wasser reichte mir im Sommer bis zu den Knien, aber jetzt ist der Fluss verschwunden“, erzählte der 37-Jährige aus der Gemeinde Xueshan in der Tibetischen Autonomen Präfektur Golog in der nordwestchinesischen Provinz Qinghai.

Der Anyemaqen ist der größte schneebedeckte Berg im Quellgebiet des Gelben Flusses. Er hat mehr als 40 Gletscher, die wichtige Bestandteile der Kryosphäre und Indikatoren für den Klimawandel sind. Der Berg hat zudem eine kulturelle Bedeutung. „Für uns ist der Anyemaqen ein heiliger Berg“, sagte Tenzin Dargye. „Als wir sahen, wie sein Schnee nach und nach schmolz, wussten wir, dass wir handeln müssen.“

So schloss er sich einem Gletscherüberwachungsteam von etwa zehn Personen an. In den letzten zehn Jahren hat sich die Initiative zu einem Umweltschutzverband mit fast 50 Mitgliedern entwickelt, von denen die meisten lokale Hirten sind. Sie überwachen die Gletscher unter Anleitung von Wissenschaftlern, beobachten die Tierwelt und sammeln Abfälle ein.

Initiative der Hirten

Tenzin Dargye erinnert sich, dass es vor mehr als zehn Jahren zu Eislawinen kam und die Gletscher in der Nähe seines Hauses generell im Rückzug waren. Während das Eis immer schneller schmolz, bedrohten die von Eislawinen verursachten Katastrophen weiterhin das Lebensumfeld der Hirten. Als Reaktion darauf begannen einige von ihnen den Gletscherrückgang zu dokumentieren.

Sie stellten fest, dass die Gletscher etwa Mitte Mai zu schmelzen begannen und das Schmelzen aufhörte, wenn die Temperaturen im Oktober sanken. Daraufhin einigten sie sich darauf, die Gletscher jedes Jahr am 15. Mai und 15. Oktober zu messen. Seit 2010 versammeln sich die Hirten jedes Jahr an den beiden Terminen an derselben Stelle, um die Lage der Schneegrenze zu erfassen.

Doch ohne Übung und Erfahrung war das keine leichte Aufgabe. Sie verwendeten einen großen Stein am Ende der Gletscherzunge als Ausgangspunkt und berechneten die Entfernung zwischen dem Stein und der Schneegrenze. Ohne professionelle Messgeräte zogen die jüngeren Hirten ein Band, um die Entfernung zu messen. Sie hielten das Datum und die Rückzugsentfernung mit Farbe auf einem Stein fest, während die älteren Hirten Notizen für die Wissenschaftler machten.

Ihre Arbeit kann zuweilen sehr riskant sein. Im Oktober, wenn die Schotterstraßen mit Schnee bedeckt sind, passiert es schon mal, dass die Hirten in versteckten Spalten stecken bleiben.

„Einige Dorfbewohner sagen, dass unsere Arbeit alleine wenig Wert habe“, sagte Tenzin Dargye.

Karjin, ein weiterer Hirte des Gletscherüberwachungsteams, sagte, dass seine achtzigjährige Mutter ihn trotz solcher Aussagen immer unterstützt habe. „Meine Mutter sagte, dass wir, die wir unter dem verschneiten Berg aufgewachsen sind, nichts tun könnten.“

Umweltschutzbemühungen
Aufgrund der ganzjährig schneebedeckten Berglandschaft hat sich die Gemeinde Xueshan zu einem beliebten Touristenziel entwickelt. Allerdings hat dies negative Auswirkungen auf die lokale Umwelt.

„Viele Touristen kommen im Sommer, um die Gletscher zu sehen, und einige hinterlassen Müll oder fahren mit Geländewagen über die Gletscher“, berichtete Karjin. Deshalb wurde 2015 ein lokaler Umweltschutzverband gegründet, der verschiedene Aufgaben wie die Überwachung von Gletschern und Wildtieren übernimmt und Touristen von unangemessenem Verhalten abhält.

Der Verband hat derweil gemeinnützige Organisationen dazu eingeladen, in der Gemeinde Xueshan Vorträge über Umweltschutz zu halten, um mehr Menschen vor Ort dafür zu gewinnen.

He Xiaobo, Forscher am Northwest Institute of Eco-Environment and Resources der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, besuchte den Berg Anyemaqen im Jahr 2023. Er gab den Hirten Tipps, wie sie die Gletscher vor Ort genauer überwachen können. „Die Überwachung ist eine grundlegende Arbeit zum Schutz der Gletscher“, sagte er. „Mit den bisher erhobenen Daten können wir die Beziehung zwischen Gletscher und Klimawandel besser verstehen und die Entwicklung der Gletscher analysieren.“

Indes versprach er, dass sein Team in Zukunft Daten für die Gletscherforschung und den geologischen Katastrophenschutz zur Verfügung stellen werde.

Unter Anleitung der Wissenschaftler haben die Hirten ein tieferes Verständnis für die Veränderungen der Gletscher gewonnen. „Der Schutz der Gletscher kann nicht nur aus der Überwachung bestehen. Wir werden versuchen, den Gletschern nicht zu nahe zu kommen und mehr Menschen zu helfen, ihre Bedeutung und die Bedeutung der schneebedeckten Berge zu verstehen“, so Karjin.