Am Welttag des Buches, kamen Literaturbegeisterte in Lhasa zusammen, um bei einer Lesung leidenschaftlich über ihre Gedanken zu diskutieren.
Als Höhepunkt der zweiten „Frühlingslesung in Lhasa“ zog die Veranstaltung „Literatur und die Grenzen der Geschichte“ zum neuen Roman „Wolken über Ü-Tsang“ zahlreiche Literaturfans an. Der Autor des Buches, Tsering Norbu, Vorsitzender des Tibetischen Schriftstellerverbands und Träger des Lu-Xun-Literaturpreises, teilte dabei die Hintergründe und den Schreibprozess des Werkes.
„Ü-Tsang“ war die Bezeichnung der Zentralregierung der Yuan-Dynastie für Xizang. „Wolken über Ü-Tsang“ konzentriert sich auf das historische Ereignis der „Liangzhou-Gespräche“ Mitte des 13. Jahrhunderts und erzählt in einer historischen Romanform, wie der Verhandlungsführer Gonggar Gyaltsen trotz aller Widrigkeiten die Gespräche erfolgreich vorantrieb und damit das Schicksal Xizangs veränderte.
„Tatsächlich gibt es nur wenige tibetische Aufzeichnungen über diese Epoche. Die vorhandenen Quellen ähneln sich, bleiben aber grob umrissen. Es war eine echte Herausforderung, daraus literarische Geschichte zu formen“, erklärte Tsering Norbu die Schwierigkeiten beim Schreiben. „Wie war das Klima damals? Was trugen die Menschen? Wie sah ihre Ernährung aus? Ich musste umfangreiche historische Dokumente sichten, darunter vier oder fünf verschiedene Versionen der Biografie von Sakya Pandita. Oft habe ich Passagen geschrieben, nur um sie später aufgrund neuer Quellen wieder zu verwerfen.“
Ein besonderes Stilmittel des Autors ist der Einsatz mythologischer Elemente – ein Versuch, den realistischen Rahmen historischer Romane zu durchbrechen.
„Jeder Schriftsteller strebt nach Erneuerung. Bei Wolken über Ü-Tsang wollte ich mich in Stil, Sprache und Erzählweise weiterentwickeln. Dabei ließ ich mich stark von der tibetischen Kultur inspirieren, denn viele unserer Geschichtswerke sind von Legenden und Fantasie geprägt. Das hat mich beeinflusst, deshalb finden sich im Buch viele mythische Motive. Das bedeutet aber nicht, dass der Inhalt erfunden ist – vielmehr erwächst daraus auf dem Boden tibetischer Tradition eine neue literarische Ausdruckskraft“, so der Autor.
Das Werk basiert nicht nur auf historischen und kulturellen Quellen, sondern auch auf den Erfahrungen aus Tsering Norbus Feldforschung. „Ein ernsthafter Autor muss recherchieren“, betonte er. „Um das Leben der Menschen authentisch darzustellen, reiste ich zweimal nach Sakya. Ich beobachtete ihren Alltag: wie sie das Vieh trieben, ihre Gesten beim Grüßen, den Rauch der abendlichen Kochfeuer, das Leben der Mönche – all das prägte meine Arbeit.“
Auch nach dem offiziellen Ende der Lesung verweilten die Gäste noch, um den Gedankenaustausch mit dem Autor nachklingen zu lassen. Diese Veranstaltung, die einer universitären Literaturvorlesung glich, war eine geistige Bereicherung – eine seltene Gelegenheit, in der hektischen Welt einmal das Handy beiseitezulegen und sich ganz der Literatur hinzugeben. Hier trafen wahrhaftig Liebhaber auf Gleichgesinnte.
(Redakteur: Yifei Sui)